Unzulässiges Werturteil im Dienstzeugnis

Verwendet der (ehemalige) Arbeitgeber im Dienstzeugnis die Formulierung, der Arbeitnehmer habe alle ihm übertragenen Aufgaben „zur vollen Zufriedenheit“ erledigt, verstößt er gegen das Erschwernisverbot. Überdies verstößt diese Formulierung auch gegen das Wahrheitsgebot, wenn der Arbeitnehmer wegen beharrlicher Verletzung der Dienstpflichten berechtigt entlassen wurde (OGH 17.12.2008, 9 ObA 164/08w).

Unzulässiges Werturteil im Dienstzeugnis

 

Rechtsnews 2009, 6655 vom 27.02.2009

§ 39 AngG, § 1163 ABGB - Verwendet der (ehemalige) Arbeitgeber im Dienstzeugnis die Formulierung, der Arbeitnehmer habe alle ihm übertragenen Aufgaben "zur vollen Zufriedenheit" erledigt, verstößt er gegen das Erschwerungsverbot; in der Praxis ist es vielmehr üblich, die Wendung "zur vollsten Zufriedenheit" - trotz ihrer sprachlichen Unrichtigkeit - zu gebrauchen.

Überdies verstößt diese Formulierung auch gegen das Wahrheitsgebot, wenn der Arbeitnehmer wegen beharrlicher Verletzung der Dienstpflichten berechtigt entlassen wurde; in diesem Fall besteht nur ein Anspruch auf ein "einfaches Dienstzeugnis".

OGH 17. 12. 2008, 9 ObA 164/08w

 

Sachverhalt: Nachdem die Klägerin mehrfach ihre Dienstpflichten verletzt hattee, wurde sie vom Arbeitgeber gemäß § 82 lit f GewO 1859 entlassen. Im Dienstzeugnis führte der Arbeitgeber ua an, die Arbeitnehmerin habe "alle ihr übertragenen Aufgaben zur vollen Zufriedenheit erledigt". In dieser Formulierung sah die Arbeitnehmerin eine unzulässige Abwertung ihrer Arbeitsleistung, weil nicht die bestmögliche positive Formulierung "zur vollsten Zufriedenheit" verwendet worden sei.

Mit ihrer Klage begehrte sie die Ausstellung eines einfachen Dienstzeugnisses ohne Werturteile. Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt, weil das vom Arbeitgeber ausgestellte Dienstzeugnis gegen das Erschwerungsverbot verstoße.

 

Wahrheitspflicht und Erschwerungsverbot

Nach § 1163 Abs 1 ABGB bzw § 39 Abs 1 AngG besteht bei Beendigung des Dienstverhältnisses ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses über die Dauer und Art der Dienstleistung. Eintragungen und Anmerkungen im Zeugnis, durch die dem Arbeitnehmer die Erlangung einer neuen Stelle erschwert wird, sind unzulässig.

Der Arbeitgeber ist nur verpflichtet, ein "einfaches" Dienstzeugnis über Dauer und Art der Dienstleistung auszustellen; es besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers auf ein "qualifiziertes" Dienstzeugnis mit Werturteilen des Arbeitgebers über Leistung und Führung im Dienst (vgl OGH 29. 9. 1999, 9 ObA 185/99t, ARD 5078/12/99).

Die Hauptfunktion des Dienstzeugnisses besteht in seiner Verwendung als Bewerbungsunterlage im vorvertraglichen Arbeitsverhältnis. Es dient dem Stellenbewerber als Nachweis über zurückliegende Dienstverhältnisse und dem präsumtiven Arbeitgeber als Informationsquelle über die Qualifikation des Bewerbers. Das Dienstzeugnis hat daher vollständig und objektiv richtig zu sein; die Formulierung ist allerdings dem Arbeitgeber vorbehalten.

Das Dienstzeugnis soll dem Arbeitnehmer die Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes erleichtern. Die Ausstellung eines den tatsächlichen Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers nicht entsprechenden "Gefälligkeitszeugnisses" verstößt gegen die Wahrheitspflicht und ist daher unzulässig. Andererseits ist aber nach § 1163 Abs 1 letzter Satz ABGB (§ 39 Abs 1 letzter Satz AngG) auch jeder Hinweis unzulässig, der die Erlangung einer neuen Stellung erschwert ("Erschwerungsverbot"). Das Dienstzeugnis darf daher keine - auch nicht indirekte - Angaben enthalten, die objektiv geeignet wären, dem Arbeitnehmer die Erlangung einer neuen Dienststelle zu erschweren (vgl OGH 8. 3. 2001, 8 ObA 217/00w, ARD 5236/2/2001).

Das Versehen des Dienstzeugnisses mit "Geheimcodes", die potenzielle Arbeitgeber über (tatsächliche oder vermeintliche) Unzulänglichkeiten des Arbeitnehmers informieren sollen, ist unzulässig. Die Formulierung darf daher auch nicht "zwischen den Zeilen" ein für den Arbeitnehmer negatives Gesamtbild durchblicken lassen. Werturteile, soweit sie für den Arbeitnehmer nicht zweifelsfrei günstig sind, dürfen nicht in das Dienstzeugnis aufgenommen werden.

Der Grundsatz der Zeugniswahrheit findet somit im Erschwerungsverbot eine Grenze. Im Einzelfall können daher Wahrheitspflicht und Erschwerungsverbot dazu führen, dass nur ein einfaches Dienstzeugnis in Betracht kommt.

Wendung "zur vollen Zufriedenheit" unzulässig

Im vorliegenden Fall gelangten die Vorinstanzen zur rechtlichen Beurteilung, dass das vom Arbeitgeber nach der fristlosen Entlassung der Arbeitnehmerin ausgestellte Dienstzeugnis gegen das Erschwerungsverbot verstößt. Strittig ist dabei in erster Linie die Formulierung, dass die Arbeitnehmerin alle ihr übertragenen Aufgaben "zur vollen Zufriedenheit" erledigt habe. Da der Arbeitgeber nicht die bestmögliche positive Formulierung "zur vollsten Zufriedenheit" verwendet habe, könne eine Abwertung der Arbeitnehmerin nicht ausgeschlossen werden. Das gegenständliche Dienstzeugnis könne daher nicht bedenkenlos als positive Bewertung der Arbeitnehmerin qualifiziert werden.

Die Frage, ob die in einem Dienstzeugnis enthaltene, über das gesetzliche Mindesterfordernis hinausgehende Tätigkeitsbeschreibung durch ihre Akzentuierungen als Negativbeurteilung aufgefasst wird, bildet keine erhebliche Rechtsfrage. Eine normierte einheitliche "Zeugnissprache" gibt es nicht; die Formulierung des Dienstzeugnisses ist dem Arbeitgeber vorbehalten. Der Frage, wie im konkreten Einzelfall eine Formulierung subjektiv verstanden werden kann, kommt daher keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (vgl OGH 29. 9. 1999, 9 ObA 185/99t, ARD 5078/12/99).

Der vorliegende Fall bietet keinen Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Von einer unvertretbaren Beurteilung des Berufungsgerichts kann keine Rede sein. Dass die Wendung "zur vollsten Zufriedenheit" in Dienstzeugnissen gebräuchlich ist, bezweifelt auch der Arbeitgeber nicht. Seinem Einwand, eine Steigerung von "voll" ergebe "keinen Sinn" und "sei nach der Grammatik absolut unrichtig", steht die bei Dienstzeugnissen tatsächlich gehandhabte Praxis entgegen, die in dieser Formulierung durchaus eine Relevanz sieht.

Im Übrigen ist es zwar richtig, dass Komparativ- und Superlativformen bei jenen Adjektiven unüblich sind, die bereits einen höchsten oder geringsten Grad bezeichnen. Dennoch werden aber auch solche Adjektive gelegentlich gesteigert (zB das Adjektiv "voll" in "zu meiner vollsten Zufriedenheit" in einem Dienstzeugnis), wenn der höchste oder geringste Grad noch verstärkt werden soll (Duden, Richtiges und gutes Deutsch6, 945). Gerade in der "Zeugnissprache" spielen Superlative eine besonders große Rolle.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, das gegenständliche Dienstzeugnis sei nicht zweifelsfrei günstig für die Arbeitnehmerin, ist daher jedenfalls vertretbar. Für dieses Kalkül müssen, entgegen der Rüge des Arbeitgebers, die "unendlichen und unkontrollierten Weiten des Cyberspace" nicht bemüht werden.

Verstoß gegen Wahrheitspflicht

Der Arbeitgeber hat aber nicht nur gegen das Erschwerungsverbot verstoßen; der Inhalt eines Dienstzeugnisses hat auch wahr zu sein. Nach den Verfahrensergebnissen kann im vorliegenden Fall aber keine Rede davon sein, dass die Arbeitnehmerin alle ihr übertragenen Aufgaben "zur vollen Zufriedenheit" erledigt hat. Das Gegenteil war der Fall, weshalb die Arbeitnehmerin auch zu Recht wegen beharrlicher Verletzung ihrer Pflichten nach § 82 lit f GewO 1859 entlassen wurde.

Der von der Arbeitnehmerin geltend gemachte Anspruch auf Ausstellung eines einfachen Dienstzeugnisses besteht daher zu Recht.

Praxis-Tipp vom Experten Dr. F. M. Adamovic, Hofrat des OGH i.R.:

Der Arbeitnehmer hat nur Anspruch auf ein "einfaches Dienstzeugnis". Dieses lautet: "N.N. hat von ... bis ... als ... gearbeitet". Unter der Verwendungsbezeichnung (als ...) ist als Faustregel die Beschäftigungsbezeichnung zu verwenden, die in einem Stelleninserat zur Nachbesetzung des Arbeitsplatzes des ausgeschiedenen Arbeitnehmers üblich ist. Bloße Rechtsbegriffe, wie zB "als Arbeiter", "als Hilfsarbeiter", "als Angestellter" sollen nicht verwendet werden, weil dies nicht als Beschäftigung verstanden werden kann; es ist zumindest eine Beifügung "als Facharbeiter im Bereich von ...", "als Bauhilfsarbeiter", "als technischer/kaufmännischer Angestellter im Bereich von ..." zu verwenden.

Bei einem allfälligen innerbetrieblichen Aufstieg ist überdies der Zeitraum in niedriger und höherer Verwendung gesondert anzuführen (wegen der Einstufung des Arbeitnehmers im neuen Arbeitsverhältnis nach der Dauer von einschlägigen Vordienstzeiten).

Sofern das Arbeitsverhältnis nicht harmonisch geendet hat und der Arbeitgeber die üblichen superlativischen Formulierungen nicht gebrauchen möchte, ist es empfehlenswert, das Dienstzeugnis nach der zuvor beschriebenen Minimalformulierung abzufassen. Das Unterlassen von üblichen "Lobeshymnen" ist bei dem Verwendungszeugnis ohnehin ein nicht zu übersehender Hinweis, das Arbeitsverhältnis habe disharmonisch (im Anlassfall durch Entlassung wegen beharrlicher Verletzung der Dienstpflichten nach § 82 lit f GewO 1859) geendet, so dass der Arbeitgeber ohne Verstoß gegen die Wahrheitspflicht nur ein Verwendungszeugnis ausstellen darf.

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